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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Zobel, Victor: Johann Vincenz Cissarz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0317
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J. V. CISSARZ—DARMSTADT.

»Finale«. Entwurf zu einer Radierung.

JOHANN VINCENZ CISSARZ.

Das Leben mit seinem unerschöpflichen
Reichtum von Gestalten bietet sich
dem Menschen unverhüllt, ohne Rest, ganz.
Und grade durch diese überwältigende Frei-
gebigkeit wird er geblendet, er steht vor den
Dingen der Natur als ein Bittender, und nur
eine grosse ehrfürchtige oder eine einfältige
Liebe haben ein Recht vor ihnen. Die Kunst
ist eine Meinung vom Leben, sie gibt bei
ihren Gestaltungen Stichworte, Abgezogenes,
sie drängt zusammen, um des Stoffes Herr
werden zu können, vermenschlicht und redet
unmittelbar zu uns, weil sie unsere Sprache
spricht. Aber sie gibt stärker in einem
kleinen Teil das, was wir aus den mannig-
faltigen Äusserungen des Lebens oft uns
nicht zusammenholen können, und hat so
neben der Natur ihre eigenen Gesetze sich
geschaffen; sie ist so reich und tief geworden,
wie das Leben selbst, zu dem sie führen
will. Vor der Natur fasst uns die Sehnsucht,
zusammenzuraffen, nicht uns zu verlieren;
und vor der Kunst die Sehnsucht, weiter-
es. V. 5.

zutasten, hinauszutreiben, uns selbst zu ver-
gessen. Es ist eigentlich ein Ballspiel. Nur
ein Vorbehaltwinkel der Seele, in den kein
fremdartiges Menschenwerk hineingelassen
wird, kann Spielpausen erzwingen und be-
liebig verlängern.

Vor Cissarzens Arbeiten nun, denen hier
ein Geleitwort gegeben werden soll, habe
ich beinahe nie nötig gehabt, mich in mein
Reservat zurückzuziehen, weil er in seinem
Schaffen vor allem anderen so unverhüllt
Mensch und von einer so tiefen Wahrhaftig-
keit durchdrungen ist, dass nur die ganze
Hingabe des Eigenen dazu führt, ihm nahe
zu kommen. Im Grunde sind ja Worte
überflüssig, wo die persönliche Auseinander-
setzung mit den Äusserungen eines Schaffen-
den der einzige Weg ist, zum Genuss und
in den Besitz ihrer Gaben zu gelangen. Ich
will aber doch versuchen, auf einiges von
dem, was sich mitteilen lässt, kurz hinzu-
deuten, und werde dabei die einzelnen Ge-
biete vom Schaffen des Künstlers, die im

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